Die Probenbedingungen für alle Ensembles der Jenaer Philharmonie konnten mit dem Umzug in das einstige Gebäude des Oberlandesgerichtes (August – Bebel – Straße 4) zu Beginn des Jahres 1978 spürbar verbessert werden. Inzwischen hatte Michael Pezenburg einen Kammerchor aufgebaut, dem die besten Knabenstimmen des großen Chores angehörten. Der Kammerchor studierte Lieder mit größerem Schwierigkeitsgrad ein, welche dann auch bei Konzerten und Auftritten Bestandteil des Programms waren. Die Mitglieder des Kammerchores hatten auch schon zweimal wöchentlich Probe, während der große Knabenchor sich immer am Montagnachmittag zur Gesamtprobe traf.
1978 gab es zum 60. Jahrestag der Sowjetarmee ein Gratulationskonzert im Kultursaal der sowjetischen Garnison, an dem u.a. der Knabenchor der Jenaer Philharmonie beteiligt war.
Einige Knaben wirkten auch schon bei der Aufführung der „Carmina Burana“ von Carl Orff durch die Jenaer Philharmonie im Volkshaussaal mit, wo sie damals noch von der alten Orgelempore den Knabenchor „Amor volat undique“ sangen.
Mit einem Konzert am 22. April im Rathaussaal Orlamünde begann eine freundschaftliche Verbindung zu diesem Städtchen, die in den folgenden Jahren noch vertieft werden sollte. Dieses war auch der erste eigenständige Auftritt des Knabenchores, mit 20 Chortiteln – vor allem Volks – und Kinderlieder aus verschiedenen Ländern, aber auch zwei „alte Meister“ (Kammerchor)und der dreistimmige Satz aus Beethovens Chorfantasie – dazu kamen noch instrumentale Solodarbietungen , z.T. von Chormitgliedern ausgeführt. Unterstützung gab es noch durch die Männerstimmen des Philharmonischen Chores und von der Gesangsgruppe des Bezirkstanzensembles Gera. Der Chronist vermerkt zu diesem ersten eigenständigen Konzert außerhalb Jenas noch, das hier erstmals die Einteilung des Chores in Gruppen vor einer Bewährungsprobe stand, als nämlich nach dem Einsingen und einer kurzen Stellprobe die verbleibende Zeit bis zum Konzertbeginn mit einem gruppenweisen Spaziergang durch die Oberstadt verbracht wurde.
Weiterhin beteiligte sich der Knabenchor an der „Spartakiade der Volkskunst“ – einem Chorleistungsvergleich, bei dem es galt, den erreichten Leistungsstand mit den guten Kinderchören Jenas zu messen, was von einer Jury , der Musikpädagogen angehörten, bewertet wurde. Außer dem von Karl Müller – Schmied geleiteten Chor des Pionierhauses Jena hatte der Knabenchor in seiner Heimatstadt damals kaum Konkurrenz zu fürchten.
Die Spielzeit 1978/79 brachte mit der Mitwirkung des Knabenchores bei den „Tagen der Volkskunst des Bezirkes Gera“ im Berliner „Palast der Republik“ im November und der Aufführung des „Stabat mater“ von Giovanni Battista Pergolesi in drei Philharmonischen Konzerten im Dezember bereits enorme Aufgaben für den gerade seit zwei Jahren bestehenden Chor.
Um dem gerecht werden zu können, fanden im August und Oktober jeweils mehrtägige Intensivprobenlehrgänge im Probenhaus der Jenaer Philharmonie statt, bei denen auch wieder Georg Friedrich Händel, der sich vor allem wegen seiner lustigen Einsingeübungen großer Beliebtheit erfreute, und Karl Müller – Schmied einen Teil der Probenarbeit übernahmen. Der Hinweis des jungen Chronisten, daß diese Probentage allen Beteiligten sehr schwer fielen, „… zumal alle Stimmgruppen eine andere Stimme sangen, und unser Chor alle Lieder sicher beherrschen mußten“ läßt ahnen, daß das Repertoire deutlich anspruchsvoller geworden war.
Im Oktober fanden wieder zwei Schülerkonzerte im Jenaer Volkshaus statt, die gleichsam der Vorbereitung der Auftritte in Berlin dienten.
In Vorbereitung der Reise nach Berlin wurde ein Elternaktiv gegründet, dem zehn Mütter bzw. Väter von Chorknaben angehörten, den Vorsitz übernahm der umsichtige Herr Binder.
Alle Hände voll zu tun hatte auch Frau Dr. Renate Meyer, als der Knabenchor anläßlich der Berlin – Reise seine erste Chorkleidung erhielt, die nun für jeden der inzwischen 113 Sängerknaben passend ausgewählt werden mußte. Noch ganz der Mode der 70er Jahre verpflichtet, hatten die weinroten Hemden lang heruntergezogene Kragenecken und die dunkelblauen Hosen den schon nicht mehr so modernen Schlag unterhalb des Knies. Dazu gehörten Gummizuggürtel, die aus drei einzelnen bunten Streifen bestanden und mit einer Hakenschnalle versehen waren. Dazu hatte jeder möglichst dunkle private Schuhe zu tragen.
In der Woche vor der Fahrt nach Berlin fand im großen Probensaal der Philharmonie eine Regieprobe für das „Festliche Konzert“ im Palast der Republik statt, an dem neben dem Jenaer Knabenchor auch der Knabenchor der Stadt Pskow beteiligt war. Beide Knabenchöre hatten einen eigenen Programmteil zu gestalten, zuerst die Jenaer, dann die Knaben aus dem sowjetischen Partnergebiet, dann sollten die Jenaer von zwei Seiten kommend den Pskower Chor in die Mitte nehmen, um gemeinsam „Im schönsten Wiesengrunde“ im Satz von Karl Müller – Schmied zu singen. Die dazu nötigen Auf – und Abgänge wurden unter Leitung des Regisseurs Lothar Arnold geübt, weil in Berlin nicht genügend Zeit dafür war. Dazu hatten beide Knabenchöre auch ihre Chorkleidung angezogen, die Jenaer Sänger waren, wie das Foto von dieser Probe belegt, noch nicht alle vollständig ausgestattet.
Die Fahrt nach Berlin wurde dann zu einem riesigen Erlebnis, einem echten Höhepunkt in der Entwicklung des Chores und auch zu einem künstlerischen Erfolg. Allein das gemeinsame Auftreten mit dem seit 15 Jahren bestehenden und dabei musikalisch schon weiter entwickelten Knabenchor der Stadt Pskow war ein großer Ansporn. Eine Fahrt in die Hauptstadt war zudem eine aufregende Sache. Dazu kommt dann das Gebäude des Palastes der Republik mit seiner modernen Ausstattung, vor allem die überwältigende Technik im Großen Saal mit der die verschiedenen Saalgrößen und Nutzungsvarianten hergestellt werden konnte. All das erzeugte schon fast allein die nötige Spannung, die für die beiden Auftritte benötigt wurde.
Am ersten Tag, dem 18. Nov. 1978, war der Chor 7.00 Uhr am Volksbad nach Berlin aufgebrochen, wo es gleich zum Palast der Republik ging. Am Nachmittag fand dann im riesigen Foyer des Palastes ein Programm mit verschiedenen Ensembles aus dem Bezirk Gera statt, dabei wirkten auch der Knabenchor der Jenaer Philharmonie und der Knabenchor aus Pskow mit. Der Chronist berichtet von einem gut besuchten Foyer: „Es war zwar nicht wie beim Fußball und es wurde auch niemand totgetrampelt, aber die Musik und der Gesang verfehlte nicht viele Ohren.“
Nach dem Auftritt gab es unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen Stadtbummel in Gruppen, bis man sich zum Abendessen am Fuße des Fernsehturms traf. Die Busse brachten die Sänger in die Unterkünfte, in Bungalows in Kagel bei Berlin.
Am folgenden Tag fuhr man wieder zum Palast, wo den ganzen Vormittag geprobt wurde. Noch einmal gab es eine Stellprobe für das abendliche Konzert im Großen Saal. Anschließend fand in Kagel eine strenge Mittagsruhe statt. Danach wurden die Sachen gepackt und es ging wieder zum Palast, wo nochmals die Auf – und Abgänge von der Bühne probiert wurden. 19.00 Uhr begann dann das „Festliche Konzert“, das im Zeichen des 150. Todestages von Franz Schubert stattfand. Im ersten Teil des Programmes trat zuerst das Jugendsinfonieorchester der Bezirksmusikschule Gera auf, dann folgten die Beiträge beider Knabenchöre. Die Jenaer Jungs waren zuerst an der Reihe und präsentierten acht Lieder aus ihrem Repertoire. Die Jenaer verließen die Bühne und fieberten dem gemeinsam mit den Pskower Jungs zu singenden „Im schönsten Wiesengrunde“ entgegen, das sich den fünf Titeln deren Programmbeitrags anschloß. Alles funktionierte wunderbar, nur der von Lothar Arnold so streng eintrainierte Abgang nach dem gemeinsamen Lied ging voll daneben. Aber daran störte sich niemand. Mit den Sängern aus Pskow wurden Geschenke ausgetauscht, beide Chorleiter hielten eine kleine Ansprache und während im zweiten Teil des Programms die Messe Es – Dur von Franz Schubert erklang, saßen die Jenaer Sängerknaben in ihren Bussen und fuhren nach diesem großen Erlebnis und mit der Freude darüber, am nächsten Tag von der Schule freigestellt zu sein, zurück in ihre Heimatstadt.
Eine Verschnaufpause gab es nach dieser Berlin – Reise allerdings nicht. Mit zusätzlichen Proben wurde nun ausschließlich die erste eigenständige Aufführung eines chorsinfonischen Werkes, des „Stabat mater“ von Giovanni Battista Pergolesi vorbereitet. Orchesterproben und eine öffentliche Generalprobe – gleichzeitig ein Jugendkonzert – kamen erstmals auf den gesamten Chor zu. Michael Pezenburg und Dr. Renate Meyer baten die Eltern und die Klassenlehrer, die anstrengenden Wochen ihrerseits zu berücksichtigen, um den Sängerknaben alle Probenbesuche zu ermöglichen.
Das Jugendkonzert und die beiden Philharmonischen Konzerte am 18., 20. und 21 . Dezember 1978 im Volkshaus wurden ein Erfolg und die Konzertkritik in der Thüringischen Landeszeitung berichtet von einer „neuen Potenz“ im Musikleben Jenas und lobt die „beachtlich gute“ Intonation und das Singen mit „großer Konzentration und Hingabe“. Michael Pezenburg dirigierte das „Stabat mater“ mit den Solisten Ute Mai, Sopran (Dresden) und Käthe Röschke, Alt (Halle) und dem Orchester der Jenaer Philharmonie. Außerdem wurden in diesem Konzert noch eine Variationssuite über ein altes Rokoko – Thema für kleines Orchester op. 64 von Joseph Haas und das Konzert A-Dur für Gitarre und Streicher von Mauro Guiseppe Giuliani unter Leitung von GMD Günter Blumhagen aufgeführt.